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"Es geht nicht um Schönheit, sondern um Macht"

Der Berliner Künstler Reiner Anding, als Solist unter dem Namen "Sandkorn- Theater-Berlin" unterwegs, experimentierte am Dienstag in Englischer Sprache vor begeisterten Schülern des Friedrich-Schiller-Gymnasiums mit dem Grimmschen Märchen "Schneewittchen und die sieben Zwerge".

Von Sandra Bringer
Calbe. Märchen sind Erinnerungen an die Kindheit, sie waren da, als die Welt noch in Ordnung war und Gut und Böse eindeutig benannt werden konnten.
Sie stellten die ersten Berührungsspunkte mit dem "rauhen Leben" dar. Man lernte, daß jegliches Tun auch seine Folgen hat, Belohnung und Bestrafung nah beeinander liegen können.
Reiner Anding, studierter Marionettenspieler und sicher auch Weltenbummler, hat den Wert dieser epischen Kleinkunst erkannt. Bereits seit mehreren Jahren tourt er mit seinem Stück um das wunderschöne Schneewittchen, das mit dem Neid seiner Stiefmutter zu kämpfen hat, durch deutsche Schulgebäude und belebt damit den Englischunterricht.
Doch daß er seine Marionetten Englisch sprechen läßt, ist für den gebürtigen Berliner zweitrangig. "In erster Linie ist es für mich Theater, und dabei ist bewußtes Experimentieren sehr wichtig.", stellt Anding klar.
Und das spürt man während der Aufführung sehr deutlich. Sie läßt Raum für die eigene Fantasie und subjektive Assoziationen, denn die Bühnenausstattung ist spärlich und jede einzelne Requisite ungewöhnlich. Ein Tamburin mit allerlei "Anhängseln" übernimmt so zum Beispiel gleich mehrere Aufgaben. Es dient einerseits als Stickrahmen der Königin, ein anderes Mal stellt es den Eßtisch der Zwerge oder Schneewittchens Sarg dar.
Auch sonst weiß Anding Instrumente, wie Schellen, Maultrommel oder eine kleine Flöte, geschickt einzusetzen, um zwischen den Bildern immer wieder eine gespannte Ruhe aufzubauen, um danach wieder mit typisch britischem Witz loszulegen und die sieben Zwerge auf einem Boden aus Stoffetzen tanzen und singen zu lassen.
Ja, er versteht, wie man Kinder fesselt, und nicht nur Kinder. Auch die anwesenden Lehrer starren gebannt auf die Bühne, erfreuen sich an der Stimmgewandtheit des Puppenspielers und an seinem Einfallsreichtum, wenn er die böse Stiefmutter durch eine Teekanne aus Porzellan und die Zwerge einheitlich in Reih und Glied nur durch Zipfelmützchen darstellt.
Darin spiegeln sich die unterschiedlichen Charaktere der handelnden Figuren wider, ist man doch geneigt, die böse Königin als "ollen Teepott" zu betiteln. So möchte man ihr von vornherein die Macht über ein ganzes Königreich absprechen, mag sie selbst noch so schön sein.
Als Gegensatz zu ihr "leben" Schneewitchen und auch ihr Prinz als einzige wirkliche Marionetten auf der Bühne und demonstrieren damit sicher den "Sieg der Gerechtigkeit", wenn sie am Schluß die Königin in glühenden Schuhen tanzen lassen. Und das Gewissen ist beruhigt.
Für Reiner Anding, der auch schon für Fernsehen, Kabarett und in den USA als Regisseur gearbeitet hat, ist sein Stück mehr als nur bloße Unterhaltung. "Kinder werden dadurch angeregt, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen. Und das auf sehr direkte und persönliche Weise, anders als im Fernsehen.", erklärt er: "Das ist ein ganz anderes Medium, bewirkt dahingehend überhaupt nichts."
Im Theater bestimmt der Zuschauer selbst, wieviel er vom Dargebotenen weiterverwendet, verarbeitet. Doch einen Eindruck erhält er immer, denn die Bühne ist greifbar vor ihm und keine zweidimensionale Konserve. Theater ist etwas Intimes mit Gruppenzwang sozusagen, und das löst den Lerneffekt aus.
"Dieses Stück werden die meisten hier nicht vergessen. Das sagt mir meine Erfahrung.", hofft Anding, der mittlerweile auf 20 Bühnenjahre zurückblicken kann.
Er mag recht haben, wenn man sich die kleinen Zuschauer, aufmerksam und lächelnd vor der Bühne sitzend, vor Augen führt. Und sicher wird er auch in Zukunft diesen Erfolg zu verzeichnen haben, ab nun in Stendal, Osterburg oder irgendwo anders auf dieser Welt.

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